Zweifeln – Wie gehen wir in den Religionen damit um? 6. Juni 2023

Podiumsdiskussion mit Publikumsgespräch am 22.05.2023 in der Esslinger Moschee

In Esslingen gibt es nicht nur die verschiedensten christlichen Konfessionen, sondern auch sehr unterschiedliche Glaubensgemeinschaften. Neben den Aleviten und der Achmeddyia-Gemeinde bilden die Gemeinden um die Fatih-Moschee (IGMG) und die Yunus-Emre-Moschee (DITIB) die größte Gruppe der Esslinger Muslime. Die nichtchristlichen Religionsgemeinschaften und die Konfessionslosen bilden zahlenmäßig in etwa die Hälfte der Esslinger Bürgerinnen und Bürger, evangelische Christen ca. 30 und Katholiken knapp 25 Prozent. Die 1938 geschändete und profanierte Synagoge wurde 2012 der jüdischen Gemeinde (IRGW) zurück gegeben.
Seit einigen Jahren gibt es einen „Interreligiösen Gesprächskreis“. Hier treffen sich zu nicht-öffentlichen Gesprächen die Geistlichen der evangelischen und katholischen Christen mit den Vertretern der beiden größten Moscheen und Vertretern der jüdischen Gemeinde.
Kurz vor der Corona-Pandemie war der interreligiöse Gesprächskreis auf den Leiter der keb Landkreis Esslingen zugegangen mit der Bitte, zukünftig zu planende offene Veranstaltungen, die aus dem Gesprächskreis heraus entstehen, als Träger zu organisieren. Für die seit langem geübte Kooperationspraxis der keb, überkirchliche bzw. überkonfessionelle religiöse Themen grundsätzlich in Kooperation gemeinsam mit dem Evangelischen Bildungswerk zu verantworten, entstand daraus das Vorhaben, zukünftig regelmäßig in abwechselnder Federführung offene Begegnungen unter dem Titel „Interreligiöser Dialog Esslingen“ anzubieten. Der Fokus liegt dabei auf existenziellen Fragestellungen, die im Leben aller Menschen relevant werden können und für welche die Religionen in besonderer Weise gefragt sind. Eine offene Podiumsveranstaltung im Salemer Pfleghof zum Thema „Zweifeln – Wie gehen wir in den Religionen damit um?“ war 2020 pandemiebedingt kurzfristig abgesetzt worden.
Jetzt wurde sie wenige Tage nach der feierlichen Eröffnung der Esslinger Yunus-Emre-Moschee, eine der größten Moscheen in Deutschland, unter geänderter Zusammensetzung nachgeholt. Gesprächspartner auf dem Podium waren Sara Kosaloglu, neue hauptamtliche Religionsbeauftragte der Moscheegemeinde für den Islam, der ebenfalls neue Rabbiner Mark Pavlovsky für das Judentum und Bernd Weißenborn, evangelischer Dekan für das Christentum.
Die Moderation des Abends hatte Emanuel Gebauer von der keb Landkreis Esslingen.
Rund 60 Teilnehmende brachten sich dank eines zuvor klar gegliederten Ablaufs im Laufe des Abends zunehmend in den Austausch ein. Seitens der Moscheengemeinde war die dank der dort zurzeit im Aufbau befindliche offenen Jugendarbeit jüngere Generation ungewohnt stark vertreten, während auf Grund der Inhalte der Wortbeiträge aus dem Plenum deutlich wurde, dass Christen in der Runde teils von über die Landkreisgrenzen her angereist waren.
Gesprächsbarrieren wurden dadurch herabgesetzt, dass der Moderator immer wieder die Mitwirkenden auf dem Podium dazu ermunterte, zuerst über eigenen Erfahrungen voranzustellen und nicht das Glaubenswissen der Religion, als deren Vertreter sie sprachen, nur dazu zu verwenden, die eigene Welt- und Glaubenserfahrung zu bemänteln. Das führte im Verlauf früh zu einer Rollenauflösung, schon bei der Frage: „Hat mich das Thema „Zweifeln“ in letzter Zeit beschäftigt, und wenn ja, wo?“ Da kamen plötzlich nicht nur sehr persönliche Bekenntnisse zu Wort, sondern auch offene Fragen wie die zu den aktuellen Leiderfahrungen wie Krieg und Erdbeben. Die Theodizee-Frage stellte sich deshalb bald als die alle berührende und verbindende heraus und machte zugleich Mut, im interreligiösen Dialog auch offene Räume bewusst offen zu halten. Zugleich ergaben sich Begriffsunterscheidungen: Glaubenszweifel? Methodischer Zweifel? Zweifel daran, wie gut es Gott mit mir konkret in meiner Situation meint?
Erst danach ging es mit einer weiteren Runde in die jeweiligen Grundlagentexte der jeweiligen Religion: die jüdische Thora und den Talmud, die biblischen Grundlagen und in den Koran.
Im letzten Abschnitt, in dem das Plenum ausreichend Raum für Beteiligung bekam, erhielt das Thema des Abend noch einmal eine ins Positive gewendete Konnotation, die vor allem zuvor schon der Rabbiner Mark Pavlovsky humorvoll dargelegt hatte: Die Stärke, für die Juden zugleich auch gerne aufgezogen würden, sei der Streit um die Wahrheit. „jüdische Exegese ist Streit, und der ist zu einem guten Ende nur möglich, wenn jeder zugleich auch bereit ist, das anzuzweifeln, was bis zuletzt verfochten wird.“ Und schon war man bei anderen aktuellen Bezügen, was . B. überhaupt die Voraussetzungen für einen gelingenden Dialog seien, und welchen Beitrag ein methodischer Zweifel zur Wahrheitsfindung, zum Beispiel als Vermeidungsstrategie gegen „Fakenews“ und Verschwörungstheorien, verwendet werden kann. Und ein kleiner Exkurs in die Mystik bescherte am Schluss noch ein kleines Resonanzwunder. Als der Moderator der keb zum Schlusswort kommen wollte, das er sich lange vorher zurecht gelegt hatte, fuhr ihm, sich dafür entschuldigend, der Rabbiner dazwischen, weil es ihm wichtig war, an diesem Abend noch den islamischen Mystiker Dschalal ad-Din Muhammad Rumi aus dem 13. Jahrhundert: „Jenseits der Vorstellungen von Richtig und Falsch liegt ein Ort. Dort werde ich Dich treffen.“ Unter freudigem Gelächter konnte der Moderator schriftlich belegen, dass genau dieser Satz auch sein Schlusswort gewesen wäre …

Interreligiöser Dialog zum Thema Zweifeln – Podiumsdisusion

Vlnr: Weißenborn, Kosaloglu, Pavlovsky, Gebauer

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